Morgen eröffnet die neue Intendantin Tricia Tuttle die Berlinale 2025. Mit ihrem Amtsantritt erhoffe ich mir, dass dieses international so bedeutende Filmfestival bald wieder zu alter Größe aufblüht. Tricia Tuttle will offenbar einen Neuanfang wagen, der das Festival nicht nur zukunftsorientiert ausrichtet, sondern sie will auch an den Wurzeln aus glücklicheren Tagen anknüpfen. Tricia Tuttle hat ihre kurze Vorbereitungszeit gut genutzt, um in hunderten Gesprächen den eigentlichen Kern der Berlinale freizulegen: Das was ihrem legendären Vor-Vorgänger Dieter Kosslick, der die Berlinale 19 Jahre wie ein Zirkusdirektor leitete, immer so scheinbar mühelos über den roten Teppich tänzelnd gelang: Der Schulterschluss zwischen E und U, die Verschmelzung eines politisch relevanten und progressiven Kinos mit starken deutschen Akzenten mit dem Glamour Hollywoods. Der Direktor war sich nie zu schade, auch mal den Entertainer zu geben, aber er kämpfte zugleich auch immer mit Chuzpe und Schalk im Nacken um die inhaltliche Substanz des Festivals – und baute damit die Berlinale zu einer funkelnden internationalen Marke auf.
Das muss die Berlinale wieder werden: Eines der wichtigsten Festivals der Welt. Die Berlinale ist einzigartig, denn sie ist das größte Publikumsfestival und zugleich immer noch einer der wichtigsten Filmmärkte der Welt. Zwar haben sich die Vermarktungsstrategien Hollywoods unter dem machtvollen Einfluß der Streamingplattformen stark verändert, darunter leiden auch Venedig und Cannes. Aber der Berlinale muss es wieder besser gelingen, die Ansprüche zwischen Filmindustrie und Massenpublikum auszutarieren und aus dieser produktiven Spannung ein progressives Programm hervorzubringen.
Ein Festival, dass fünf Tage nach der Münchner Großdemonstration von 250.000 Menschen gegen den Rechtsruck in Deutschland eröffnet wird und seine Preisträger am Tag der Bundestagswahl feiert, kann natürlich nicht abseits stehen, sondern muß ganz klar Haltung zeigen. Aber Kerzen vor dem Berlinale-Palast bringen wenig, der Funke muß auf die Leinwand überspringen. Die Kunst des Films selbst muss wieder zur intellektuellen Kampfesstätte werden: Die gesellschaftliche Auseinandersetzung muß leidenschaftlich auf der Leinwand und nicht im Foyer ausgetragen werden.
Die Berlinale war immer schon das politisch progressivste aller großen Festivals und hat in ihrer 75jährigen Geschichte immer wieder Brücken geschlagen. Im Kalten Krieg zwischen Ost und West und immer wieder auch in der Gesellschaft: Sie stellte ungehörte Stimmen und marginalisierte Positionen in das Rampenlicht und brachte neue Ideen an das Licht des Weltkinos. An diese Tradition versucht nun auch Tricia Tuttle wieder anzuknüpfen. Sie erklärte, sie strebe ein Festival des offenen Meinungsaustausches in dieser zerrissenen Welt an, den sie keineswegs unterdrücken werde. Im Mittelpunkt aber sollten immer die Filme stehen. Deshalb hat sie die neue Reihe „Perspectives“ eingeführt, die vor allem dem Regie-Nachwuchs neue Chancen bieten soll. Nun haben deutsche und internationale Erstlingswerke wieder eine eigene Bühne. »Wir suchen nach Spielfilmdebüts, die ein internationales Spektrum von Stimmen repräsentieren, eine kühne Filmsprache haben, spannende Perspektiven entwickeln und neue Sichtweisen auf die Welt bieten«, so Tuttle über Perspectives.
Tricia Tuttle setzt auf die junge Generation. Nur die Jugend kann Auswege aus der politisch verfahrenen Gegenwart – in der wir uns Alte so hoffnungslos verstrickt haben – aufzeigen. Deshalb ist für mich auch der Deutsche Nachwuchspreis FIRST STEPS so wichtig. Am 1. März übernimmt Linda Kirmse die Künstlerische Leitung des renommierten Filmpreises von Anne Ballschmieter. Linda Kirmse ist eine enthusiastische Branchenkennerin und bringt eine umfangreiche Expertise in der Förderung junger Talente mit. So hat sie zuvor in der Sektion Berlinale Talents der Internationalen Filmfestspiele Berlin gearbeitet, wo sie die Script Station geleitet hat und für die Projektauswahl, Juryzusammenstellung sowie Programmgestaltung zuständig war. Ihre langjährige Erfahrung in der Filmbranche und ihre Leidenschaft für die Unterstützung junger Talente machen sie zur idealen Besetzung. FIRST STEPS ist die bedeutendste Auszeichnung für Abschlussfilme von Filmschulen in den deutschsprachigen Ländern und rückt neue Talente ins Rampenlicht und würdigt mutige, perspektivenreiche Filme.
Ich bin mir sehr sicher: Nur die junge Filmgeneration hat das Zeug zur Disruption. Als Professor an der Filmakademie in Ludwigsburg bin ich immer wieder von Jahr zu Jahr sehr beeindruckt von den vielen talentierten Frauen und Männern, die dort ihr Diplom machen. Sie können das, was wir uns alle wieder selbst beibringen müssen: Lebendige und offene Diskussionen! Leidenschaftlich um eine eigene künstlerische Haltung ringen! Gleichzeitig eine Kraft zu entwickeln, bei sich zu bleiben und damit Charakterstärke und Durchhaltevermögen aufzubauen, um ein kreatives Konzept durch alle wirtschaftlichen Zwänge und gremienpolitischen Widrigkeiten durchzukämpfen, ohne dabei inhaltliche und künstlerische Abstriche zu machen! Diese Kraft und radikale Energie der jungen Filmgeneration macht mir Mut. Lasst uns diese junge radikale Energie auf der Berlinale feiern, wo immer sie für einen magischen Moment aufblitzt!