Künstliche Intelligenz revolutioniert gerade die Produktionsbedingungen der TV- und Filmindustrie. Schon heute nutzen die Filmemacher immer mehr KI-Werkzeuge für die Produktion von Content. Viele Tools entfesseln eine ungeheure neue und frische Kreativität: KI kann Autoren beim Schreiben ihrer Drehbücher helfen, indem sie Ideen für die Handlung, Dialoge, Charaktere und sogar ganze Skripte generiert. KI kann die Filmproduktion verbessern, indem sie maschinelles Lernen einsetzt, um realistische visuelle Effekte, Animationen und computergenerierte Bilder viel schneller und vor allem viel billiger zu erzeugen. Die KI hilft vor allem jungen Talenten, mit sehr geringen Mitteln sehr aufwendige Produktionen zu stemmen.
Wenn dieser Trend der Demokratisierung des Filmemachens anhält, wird sich die Produktionslandschaft für digitale Inhalte radikal verändern. Die etablierten Platzhirsche in Hollywood und Berlin-Babelsberg müssen sich warm anziehen.
Es gibt inzwischen eine Fülle von KI-Tools, die im gesamten kreativen Prozess eingesetzt werden, um mit minimalen Budgets großartige Bilderwelten zu erzeugen. So erschien im Sommer 2023 der zwölfminütige Film „The Frost“ von der generativen Videofirma Waymark. Er gilt als der erste komplett KI-generierte Film der Welt. Jede Einstellung wurde von der KI-Weiterentwicklung „Dall-E 2“ auf der Grundlage eines von einem Menschen geschriebenen Drehbuchs erzeugt. In diesem Film bricht ein Team in die eisige Antarktis auf, um ein mysteriöses Signal unter die Lupe zu nehmen. Die Eigenheiten von „Dall-E 2“ sorgten vor allem bei der Generierung der Gesichter für verstörende Ergebnisse. Zu Beginn sieht man beispielsweise eine Nahaufnahme eines Mannes am Feuer, der an einem rosa Stück Dörrfleisch nagt. Es sieht total grotesk aus. Die Art, wie er seine Lippen bewegt, kann nicht stimmen. Für einen Moment sieht es so aus, als würde er auf seiner eigenen gefrorenen Zunge kauen. Diese gruseligen Fehler summieren sich zu einer unheimlichen und beunruhigenden Atmosphäre. Die Produzenten dieses Films kamen irgendwann an einen Punkt, an dem sie aufhörten, gegen den Wunsch nach fotografischer Genauigkeit anzukämpfen, und begannen, sich auf die visuellen Verrücktheiten der KI einzulassen.
Auch viele andere KI-Cineasten verzichten gerne auf die perfekte Angleichung der generierten Bilder an die Wirklichkeit, sondern erheben die surrealen Ergebnisse zur eigenen Kunstform. KI ermöglicht damit völlig neue Sehgewohnheiten und narrative Strukturen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Aspekte des Nichtsprachlichen, des Körperlichen und Nicht-Materiellen stärker herausarbeiten und in visuelle Kunst übertragen.
Mittlerweile haben sich KI-generierte Filme eine eigene Nische erobert, mit eigenen Festivals und eigenen Communities, in denen die jungen Kreativen und Coder gemeinsam die Fortschritte dieser neuen Disziplin feiern. KI bedeutet für Filmemacher die totale Entfesselung der Fantasie: Denn bei Weitem nicht alles, was sich die menschliche Vorstellungskraft ausdenken kann, kann mit einer optischen Linse einer Kamera überhaupt aufgezeichnet werden. Wir werden erleben, dass in wenigen Jahren Produktionen, die ohne die Hilfe von optischen Linsen hergestellt werden, mindestens die Hälfte des gesamten Marktes erobern werden.
Auch im Hollywood-Mainstream der großen Studios ist KI schon längst angekommen. Ein Beispiel ist die TV-Serie „The Mandalorian“ von 2021. Hier entstand eine digitale Replik des Schauspielers Mark Hamill, damit er nach 40 Jahren wieder den jungen Luke Skywalker spielen konnte. Das Effekt-Team verwendete dafür unzählige Bilder und Filmausschnitte nicht nur von Luke aus der ursprünglichen Star-Wars-Trilogie, sondern auch Interviews des jungen Hamill aus der damaligen Zeit.
Was passiert nun aber, wenn Film- und TV-Produktionen wie „The Frost“ nur noch mit künstlich erzeugten Schauspielerinnen besetzt werden? Droht der Schauspielerberuf auszusterben? Sicher ist: KI bedroht zurzeit nicht nur in der Unterhaltungsindustrie ganze Berufsstände. Die US-Gewerkschaften, die Autoren, Regisseure und Schauspieler vertreten, schlugen deshalb letztes Jahr Alarm. In den Tarifverhandlungen mit den großen Filmstudios setzten sie dann ein umfangreiches Regelwerk für den Einsatz der KI durch, das sich auf der ganzen Welt zum Präzedenzfall für viele vertragliche Regelungen für Produktionen für Film und Fernsehen bis hin zu Werbespots, Videospielen und neuen Medien, entwickeln wird.
In Hollywood gilt jetzt: Wenn ein Produzent ein KI-System bittet, die Gesichtszüge des verstorbenen Götz George zu erzeugen, benötigt er die Zustimmung seiner Erben und muss mit ihnen über ein Honorar verhandeln. Europa hat noch immer keine Regeln und sollte sich an der Traumfabrik endlich ein Beispiel nehmen.