Nico Hofmann, einer der renommiertesten deutschen Filmemacher, kennt die Qualitäten von KI-generiertem Filmmaterial und setzt es daher auch ein. Dennoch glaubt er nicht an die emotionale Wirkung synthetischer Erzählungen – und erklärt im W&V-Interview, woran er den Unterschied erkennt.
Text: Rolf Schröter
Im Privatleben geht es nur noch um Entertainment und Shopping. Funktionieren Politik und das gesellschaftliche Leben künftig nur noch über Inszenierung?
Ich unterrichte in Ludwigsburg Studierende im Alter zwischen 23 und 35. Da geht es um genau das Gegenteil, nämlich um die Ruhe im Erzählen. Sich wieder Zeit zu lassen. Zu schauen, genau zu sein. Eine gewisse Länge in der Erzählung zuzulassen. Auch eine gewisse Spanne der Aufmerksamkeit einzufordern beim Zuschauer. Gleichzeitig sehe ich, dass diese Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird und dass sich Teile einer ganzen Generation in einer völlig eigenen Welt bewegt.
Eine Welt der Selbstbespiegelung. Die Wirklichkeit, die Körperlichkeit, das Berühren werden ersetzt durch eine digitale Blase. Das erschreckt mich. Es widerspricht meinen Grundsätzen von Storytelling, von erzählerischem Erlebnis. Dass eine Generation junger Menschen eine fast schon erotisch-haptische Beziehung mit irrealer Materie hat und keine Grenze zur digitalen Welt mehr kennt – das finde ich schrecklich.
Wie gehst du damit um? Beobachtend oder handelnd?
Die heutigen Studierenden sind ein wenig älter. Für sie ist das zentrale Thema: Wo kommt unser Publikum in zehn Jahren her? Ihr Publikum sind die eigene Schwester und der eigene Bruder, die im TikTok-Kanal hängen und nicht mehr ins Kino gehen. Ich bringe deshalb Studierenden Storytelling bei, das mich selbst begeistert und berührt. Filme über die Liebe, über Heimat, über Sexualität. Ich will mit Menschen darüber diskutieren, wie man sich miteinander beschäftigt, statt in einer unbegreifbaren Welt zu verarmen.
Künstliche Intelligenz hebelt diese Entwicklung. Content wird inflationärer und artifizieller. Verändert das die Ästhetik und die Art und Weise, wie du Inhalte produzieren musst?
Gerade der Werbebereich entwickelt sich rasant. Ich kenne Menschen, die sich darauf spezialisiert haben – auf 30-sekündige Spots, bei denen du nicht erkennst, dass sie komplett am Computer generiert sind. In der Spielfilmabteilung in Ludwigsburg benutzen wir auch KI. Das vereinfacht Abläufe. Aber ich kann dir sofort sagen, ob es eine KI-generierte Narration ist, oder ob es mit Menschen in einer sensitiven Hintergrundgestaltung produziert wurde.
Woran erkennst du das?
Ich habe zum Beispiel alle Filme gesehen, die bei First Steps nominiert waren. Das sind Themen wie Familie, wo komme ich her, wo geht das Leben hin? Es geht um Liebe, Berührung, Partnerschaft, Eltern. All diese Filme sind aus einer inneren Notwendigkeit heraus von Menschen entstanden, die das auch leibhaftig verkörpern. Das ist das Gegenteil von künstlich.
Also zählt künftig nicht mehr das Handwerk, weil KI das Handwerk perfektioniert, sondern das Storytelling?
Ja. Ich habe darüber erst kürzlich mit Oliver Berben diskutiert. Die spannende Frage ist: Schafft KI es jemals, auch im Storytelling eines längeren Formats, Menschen so stark zu berühren wie es zum Beispiel ein Film von Luchino Visconti vermag?
Und? Wird sie es schaffen?
Viele, insbesondere in der jüngeren Generation, setzen darauf. Ich finde KI sehr hilfreich. Wir benutzen sie für Mood-Trailer. Wir können Mini-Prequels aus Serien generieren. Aber ich halte es im Moment für ausgeschlossen, dass mich eine KI-generierte Geschichte jemals wirklich berühren wird. Ich glaube an die Kraft der Schauspielenden. Ich glaube an die Kraft der Urheberschaft. Ich glaube nicht, dass man das ersetzen kann.
Ein Schauspieler mit jahrzehntelanger Erfahrung könnte all sein Film-Material freigeben, um eine KI damit zu füttern, die einen synthetischen Zwilling erstellt, der echte Gefühle ohne emotionalen Verlust klont.
Das passiert bereits. In Amerika werden diese sogenannten Lebensrechte verkauft. Du verkaufst die Urheberrechte am eigenen Körper und an der eigenen Stimme.
Nehmen wir theoretisch an, jemand, der vor Jahrzehnten gelebt hat, hätte das damals bereits machen können. Nehmen wir an, eine Brigitte Horney oder ein Gustav Knuth hätten das getan. Würden die dann heute überhaupt noch funktionieren können? Ist ein Schauspieler an seine jeweilige Zeit gebunden oder könnte er unsterblich sein?
Das ist ein schönes Gedanken-Experiment. Wenn ich als Produzent die digitalen Lifetime Rechte von Brigitte Horney und Gustav Knuth hätte, könnte ich mir vorstellen, eine völlig durchgedrehte neu erfundene Geschichte zu machen, als neue Kunstform. Was ich nicht akzeptiere, ist, lebendige Schauspielende zu nehmen und Filme ohne sie zu machen. Das halte ich für Wahnsinn.
Warum? Weil du es innerlich ablehnst, oder weil du glaubst, dass es qualitativ nicht rüberkommen würde?
Weil ich glaube, dass du es sofort merken würdest. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Dass man nur die Hülle eines schauspielenden Menschen benutzt und damit die gleiche Wirkung erzielt, halte ich für unmöglich. Und schon gar nicht bei Schauspielerinnen und Schauspielern, die wirklich etwas zu sagen haben. Zum Beispiel eine Schauspiel-Ikone wie Meryl Streep, die für eine ethische Haltung steht – dass sie die Kontrolle über ihre Inhalte, ihre Menschlichkeit und ihre Moral verkauft und sich als digitaler Zwilling benutzen lässt, halte ich für absolut ausgeschlossen.










